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Musterfeststellungsklage gegen VW AG – und nun?

                             

Viele Kunden von Volkswagen-, Audi- oder Skoda (mit einem Dieselmotor EA 189) haben sich noch vor dem Jahreswechsel 2018/19 an der Musterfeststellungsklage gegen die VW AG beteiligt und sich in das Register eingetragen. Ziel war es, die drohende Verjährung zu hemmen.

Der Gesetzgeber hatte erst am 12. Juli 2018 ein Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage erlassen und damit erstmals die Möglichkeit einer solchen Feststellungsklage außerhalb von sog. kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten, also für Fallgestaltungen eines Industriebetruges oder ähnlichen Haftungsfällen geschaffen. Leider wurde es aus unserer Sicht versäumt, über das Verfahren einer Musterfeststellungsklage, insbesondere deren Dauer und über die Folgen für den individuellen Anspruch des Verbrauchers, umfassend aufzuklären.

Die Dauer solcher Massenverfahren Verfahrens ist ein Problem. Der Unterzeichner ist z.B. an der Musterfeststellungsklage für kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten (KapMuG) gegen die VW AG beteiligt. Mit einem Urteil wird in 2019 gerechnet, also vier Jahre nach Klageerhebung gerechnet. Gegenstand dieses Verfahrens Kursverluste von VW-Aktenkäufern, die mit der Bekanntgabe des Betruges (Ad-Hoc-Meldung im September 2015) Geld verloren. Diese Kunden argumentieren nunmehr, hätte VW sie rechtzeitig, früher aufgeklärt, hätten sie gar keine VW-Aktien gekauft. Die Kunden begehren Rückgabe der Aktien gegen den damaligen Kursbetrag.

Was würde eine Verfahrensdauer von z.B. vier Jahren für den Fahrer eines betroffenen Diesels bedeuten?

Die derzeitige Rechtsprechung ist sich grds. einig, dass der Verbraucher Anspruch auf Rückzahlung des ursprünglichen Kaufpreises, vermindert um gezogene Nutzungen gegen Rückgabe des Fahrzeuges hat. Diese Nutzungen werden nach der Faustformel: Kaufpreis mal gefahrene Kilometer durch erwartbare Laufleistung des Fahrzeuges, entspricht dem Betrag der vom Kaufpreis abzuziehenden Nutzungen. Als erwartbare Laufleistung eines Fahrzeuges werden bei deutschen Markenherstellern bei bis zu 2l-Dieselmotoren 250.000 km, bei größeren Motoren 300.000 km angenommen.

Beispiel: Kaufpreis eines 2,0 l TDI EUR 30.000. Gefahrene Kilometer 100.000 km.

EUR 30.000 × 100.000 km ./. 250.000 km = EUR 12.000 Nutzungen

Dieser Betrag ist vom Kaufpreis abzuziehen. Somit erhält der Verbraucher EUR 18.000,00 gegen Rückgabe des Fahrzeuges erstattet. Dies ist verglichen mit den derzeitig massiv eingebrochenen Dieselgebrauchtmarktpreisen ein angemessener Betrag, der ohne den Dieselskandal sicher auch zu erzielen war. Gerade Diesel waren vor diesem groß angelegten Betrug höchst wertstabile und gesuchte Gebrauchtfahrzeuge.

Vergegenwärtigt man sich, dass sich ein solches Musterverfahren leicht zwei bis vier Jahre hinziehen kann und der Verbraucher während dieser Zeit gemäß § 610 Abs. 3 ZPO daran gehindert ist, seine Ansprüche individuell zu verfolgen, wird schnell klar, dass er in dieser Zeit das Auto weiterfahren MUSS. Die Kilometerleistung wird sich erhöhen und er wird am Ende deutlich weniger an Geld bekommen. Dies vermag den Verbraucher nicht zu stören, der auf dem Land wohnt und in keine Großstadt fahren muss, die von einem Fahrverbot bedroht ist. Jeder Verbraucher, der jedoch sein Fahrzeug auch in oder durch Großstädte bewegen muss, hat in Kürze ernsthafte Probleme. Denn spätestens ab diesem Frühjahr werden Fahrverbote in diversen Großstädten, zunächst für EURO 4 dann für EURO 5 Fahrzeuge wie Pilze aus dem Boden sprießen.

Individuelle Klagen gegen Volkswagen werden von den Gerichten in der Regel innerhalb von 9-12 Monaten abgearbeitet. Da viele Gerichte zwischenzeitlich mit diesen Fällen vertraut sind, kann man mit einem zügigen Urteil rechnen. Die Zeit, bis man sein Fahrzeug zurückgeben und Geld für eine anderes Fahrzeug bekommt, verkürzt sich also enorm gegenüber dem (Um-)Weg über die Musterfeststellungsklage.

Ebenfalls nur unzureichend erklärt wurde auf vielen, für die Musterfeststellungklage werbenden Internetseiten, das weitere Vorgehen nach dem ersten Urteil in der Musterfeststellungsklage und dessen zeitliche Dimension. Nach diesem sog. Feststellungsurteil zugunsten des Verbrauchers muss jeder einzelne VW-Kunde seinen Anspruch selbst gegen die VW AG geltend machen. D.h. es wird ein weiteres Gerichtsverfahren nach der Musterfeststellungsklage notwendig. Dass dies alles zusammen im Ergebnis länger als 9-12 Monate dauern wird ist klar.

Grundsätzlich ist in Musterfeststellungsklagen auch ein Vergleich möglich. Dass der Volkswagenkonzern in einem solchen Massenverfahren ein (günstigen) Vergleich anbietet ist jedoch nicht anzunehmen. Gewöhnlich werden von Großkonzernen Vergleiche ohnehin nur mit einer sog. Verschwiegenheitsverpflichtung abgeschlossen. Diese kann man nur jedoch nur in individuellen Verfahren aushandeln, nicht in öffentlichen, von der Presse aufmerksam verfolgten Verfahren. Überdies hat der VW Konzern bisher gezeigt, dass er nicht gewillt ist, den deutschen Verbraucher angemessen zu entschädigen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Musterfeststellungsklage jeden daran teilnehmenden Verbraucher Zeit kosten wird und er im Nachgang zum Musterfeststellungsurteil seine Rechte individuell geltend machen muss.

 

Für Verbraucher ohne Rechtsschutzversicherung hat bei all den oben aufgezeigten zeitlichen Nachteilen die Musterfeststellungsklage jedoch einen Vorteil. Denn ein Verbraucher ohne Rechtsschutzversicherung tut sich vielleicht schwer einen Prozess zu führen, in dem das Gericht ggf. zu den verbleibenden technischen Mängeln nach dem sog. Software-Update ein Sachverständigengutachten einholen wird. Hier sind stehen Kosten von ca. EUR 3.000 – 5.000,- im Raum, die der Verbraucher vorlegen muss. Im Falle des Obsiegens, erhält der Verbraucher dieses Geld von VW erstattet. Für alle anderen erscheint die Musterfeststellungsklage der schlechtere, auf jeden Fall der zeitlich längere Weg.

Jeder, der im Klageregister eingetragen ist, kann keine individuelle Klage mehr erheben. Zumindest nicht, solange er im Register eingetragen ist. Es bliebe der Weg, die Rücknahme der Anmeldung zu erklären. Mit Rücknahme der Anmeldung endet die Sperrwirkung des § 610 Abs. 3 ZPO für diese eine Person und gemäß § 204 Abs. 2 BGB die Hemmung des eingeleiteten Verfahrens sechs Monate nach dieser Rücknahme. Man sollte dann zeitnah eine individuelle Klage erheben und dabei sicherstellen, nicht gegen § 242 BGB zu verstoßen.

 

Soweit Sie hierzu Fragen haben stehe ich Ihnen zur Verfügung

 

Jörg Ebenrecht

Rechtsanwalt

 

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